Moritz Götze & Ahrenshoop

Der name „Moritz“ steht für sich — Doritt Litt

Über „Moritz Götze und Ahrenshoop“ gibt es bereits Publikationen mit hochwertigen Werkabbildungen und klugen Texten. Sie geben Auskunft zum kulturhistorischen Hintergrund seines Schaffens und zu seiner Vita, die soziologisch in die künstlerische Gegenkultur im DDR-Staatssozialismus eingeordnet wird. Auch Betrachtungen des Künstlers als herausragenden Vertreter des Deutschen Pops in direkter Nachfolge seines Vaters, Wasja Götze (*1941), wurden wiederholt angestellt. Ebenso gibt es vielfach Verweise auf Moritz als Begründer einer postmodernen Historienmalerei, die ihm schon fast als Alleinstellungsmerkmal auf den Leib geschrieben wird.

All das ist nachvollziehbar und klingt dennoch theoretisch abgehoben für einen Pop-Künstler, der sich wünscht, dass jeder einen Zugang zu seinem Werk findet, das aus dem Leben schöpft. Der „normale“ Mensch lebt eben nicht nur von der Hochkultur und vom ausgewogenen Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit, sondern auch von Abenteuern und von Konsumwünschen, die den Alltag erleichtern – und sei es nur temporär, bis sich Alterserscheinungen einstellen und das Vergnügen wie Seifenblasen platzt. Im lustbeton- ten Umgang mit witzig-provokanten Gedankenspielen sieht Moritz einen tiefen Sinn seiner unterhaltsamen Kunst, so paradox das auch klingen mag.

Doch wo findet Moritz Anregungen für seine poppigen Arbeiten mit meist heiteren Motiven in farbenfroher Formensprache? Die Antwort darauf berührt unmittelbar seine eigene Biografie und zugleich die Kulturgeschichte seit der Antike bis zur Gegenwart, aus der er unendlich viele Impulse schöpft. In den meisten Bildtiteln verweist er auf seine Vorbilder und animiert damit den Betrachter zur vergleichenden Bildrecherche.

Moritz ist im besten Sinne ein genialer „Überflieger“ mit einem universellen Kunstverständnis, das wesentlich durch Halle, durch seine Eltern Wasja und Inge Götze (*1939) sowie durch die Landschaft und Kultur von Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern geprägt ist. Obwohl er als Autodidakt schon früh zu einer unverwechselbaren Formensprache fand, können wir heute in seinen Arbeiten einen „gereiften“ Stil erkennen, der mehr ist als nur ein Spiegelbild der Zeit oder Ausdruck einer non-konformen Haltung – wie noch in der Vorwende-Zeit. In seinen jüngsten Bildern wird sogar die Suche nach einem klassisch-postmodernen Stil mit einem Hauch Melancholie spürbar, die den Blick über gewohnte räumliche und zeitliche Grenzen hinaus erweitert sowie Gedanken an Vergänglichkeit und unerreichbare Träume berührt.

Blick nach Ahrenshoop

„Du siehst auf das graublaue Wasser, das hier mit der gleichen Ruhe an Land fährt, wie auf der anderen Seite der Ostsee“1 (Anne Rabe)

Ein Beispiel dafür ist eins seiner letzten Strandbilder in stark redu-zierter Form- und Farbgebung. Über dem kadmiumgelben Strand und ultramarinblauen Meer weitet sich der manganblaue Himmel. Eine entspannte Szene am menschenleeren, sauberen Sandstrand könnte man meinen, würde da nicht am Horizont eine hellgraue Dampfwolke aufsteigen. Sie wird umrahmt von energiegeladenen Lichtfugen, die sich blitzartig über den gesamten Horizont ausbreiten.
Der Bildtitel Blick von Gedser nach Ahrenshoop nach Ludwig Dett- mann d.Ä. verrät den Standort, von dem aus das deutsche Ostsee- bad zwischen Fischland und Darß am Horizont zu vermuten ist. Die Luftlinie zwischen Gedser auf der dänischen Insel Falster und Ahrenshoop beträgt nur knapp 40 km; etwa gleich entfernt von Ahrenshoop liegt südwestlich Rostock. Den aufsteigenden Rauch des Steinkohlekraftwerks im Rostocker Überseehafen kann Moritz bei schönem Wetter auch von seinem Mecklenburger Wohnhaus in Laage südöstlich von Rostock sehen. Etwa vier Stunden Autofahrt entfernt von Laage befindet sich seine Heimatstadt Halle an der Saale. Hier wurde er im Juli 1964 – knapp drei Jahre nach dem Mauerbau – an einem heiteren, leicht bewölkten Sonntag geboren.

Bei seinen zahlreichen Aufenthalten in Ahrenshoop bis 1989, das zu seiner zweiten Heimat wurde, konnte er nur von der nahegelegenen anderen Seite der Ostsee träumen. 2004 erfüllt sich der Wunsch auf Einladung der Edition Copenhagen, erstmals nach Dänemark zu reisen. Die Edition Copenhagen ist eine der führenden Lithographie- Werkstätten der Welt und lebt von der Vision, „einen sicheren Hafen für die Künstler zu schaffen, den Druckprozess weiterzuentwickeln und das Wissen über die Lithographie als einzigartiges Werkzeug des künstlerischen Ausdrucks zu bewahren“. Neben international renommierten Künstlern aus der ganzen Welt werden auch aufstrebende eingeladen.

Moritz folgt im Alter von vierzig Jahren als bereits erfahrener Siebdrucker der Einladung nach Kopenhagen, wo seine erste „ernsthafte“ Farblithographie aufgelegt wird.
Das Blatt Dänisches Stillleben nach dem Inhalt befragt, erzählt von Raucher- und Bierpausen, Telefonaten (noch) über Festnetz und Insekten, die es in ganz Dänemark reichlich gibt. Auf einem wellenartigen Ornamentmuster liegt am unteren Rand des Blattes eine Weißlinienzeichnung auf blauem Grund, auf der ein weiblicher Halbakt vielleicht ein blutsaugendes Stechmückenweibchen auf Abstand hält. Oder ist es eher eine hübsche Libelle, die Aufsehen erregt? Die Bildinterpretation sei dem Betrachter freigestellt, antwortet der Künstler kulant.

Aber wer ist Ludwig Dettmann (1865–1944), auf den sich Moritz’ Bildtitel Blick von Gedser nach Ahrenshoop bezieht? Der ehemals bekannte deutsche Impressionist hielt sich 1892 nachweislich in Ahrenshoop auf, wo er wohl seine Temperaarbeit Die Ostsee bei Ahrenshoop mit einem weißen Segelschiff am Horizont schuf.4 Im gleichen Jahr fertigte Dettmann Skizzen vom Fischerfriedhof, nach denen er das großformatige Gemälde Fischerfriedhof von Ahrenshoop malte, das die Nationalgalerie Berlin erwarb. Gebürtig bei Flensburg zog es ihn allerdings häufiger in die damals berühmte Künstlerkolonie nach Ekensund, die bis 1920 zur deutschen Provinz Schleswig-Holstein gehörte. Nach der Rückgabe Nordschleswigs an Dänemark geriet der Ort lange in Vergessenheit. Unvergessen blieben indes die Bilder der Landschaftsmaler, die gegenwärtig eine Renaissance erfahren.

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Götze, Deutsch-Pop? Wer ist diese Moritz?